Von Wegkartoffeln, Bühnenküssen und Gänsehautmomenten Juli 2023
Die Evangelische Jugend beim Kirchentag
Es ist Mittwochabend auf dem Kirchentag. Das Evang.-Luth. Dekanat Bamberg hat einen Stand in der Nähe des schönen Brunnens aufgebaut. Es ist ein großer Stand, in dem mehrere Aktionen Platz haben. Wir, die Evangelische Jugend Bamberg, verkaufen an diesem Tag kleine Kartoffeln mit Ziebeleskäs. Viele unserer älteren Jugendmitarbeiter:innen haben sich für diesen Tag gemeldet.
Es war klar, dass es anstrengend wird. Morgens das Material nach Nürnberg fahren, Unmengen von Käse kühl halten, bis er gut in der Kühltruhe vor Ort verstaut ist, Stand aufbauen, Hygienevorschriften einhalten, Wasser schleppen, Kartoffeln kochen, Geschirr holen und dann ab 18.30 Uhr bis 22.00 Uhr verkaufen was das Zeug hält. Die Kartoffeln kommen gut an, die Jugendlichen haben den Stand in Beschlag genommen und lassen uns Hauptberufliche nur ran, wenn irgendwas nicht funktioniert. Alle halbe Stunde rennt jemand los auf der Suche nach Wechselgeld. Zwischendurch stockt der Verkauf – die Kartoffeln sind noch nicht durch. Eine Kollegin verteilt Gummibärchen in der Warteschlange – dabei ist die Stimmung immer noch gut. Die Menschen auf dem Kirchentag sind freundlich und geduldig. Wie schön!
Trotz der heißen Temperaturen sind die Jugendlichen unermüdlich. Es macht Spaß ihnen zuzusehen, weil sie selbst Spaß haben.
Um 22:00 Uhr werden die letzten Kartoffeln verkauft. Eine gute Kiste ist noch übrig. Einige Portionen werden noch an die Nachbarstände verteilt. Dafür bekommen wir von den Coburgern eine kostenfreie Bratwurst, die ihren Stand uns gegenüber haben. Zum Schluss sind nur noch wenige gekochte Kartoffeln in der Kiste. Ein Jugendmitarbeiter zieht los und drückt sie ahnungslosen Passanten in die Hand, die sich über die kleine Wegzehrung auf dem nach Hause-Weg freuen. So etwas funktioniert auch nur am Kirchentag – oder würden Sie sonst von einer fremden Person in den Straßen Nürnbergs eine gekochte Kartoffel nehmen?
Es ist Samstagvormittag. Mit meiner Kollegin Anne Buckel, Dekanatsjugendreferentin für die Stadtregion in Bamberg, habe ich eine Tagesfahrt für unsere Jugendlichen im Dekanat organisiert. Wir sind ein bisschen aufgeregt, wie es wohl wird. Leider haben sich nur drei Mädels angemeldet. Es hagelte Absagen unserer Jugendlichen, weil sie alle irgendwo im Urlaub oder auf Pfadfinderlagern sind. Eine Enttäuschung für uns, aber wir ziehen es trotzdem durch.
Mit dem Zug in Nürnberg angekommen, machen wir uns direkt auf den Weg ins Zentrum Jugend. Die Mädels schauen sich neugierig um. Wir besuchen den Gottesdienst „It’s God o’Clock“ in der LUX. Die Mädels sind voll dabei, folgen dem Gottesdienst aufmerksam und schreiben sich mit Kuli Liedtitel auf die Hand, die wir unbedingt auch mal bei uns singen müssen. Danach schlendern wir durchs Zentrum Jugend, schauen uns alle Stände an, spielen mit, essen Falaffel und Waffeln, gestalten Taschen und schauen uns eine Ausstellung über Rassismus an. Die Mädels haben sich mittlerweile gut angefreundet, die Stimmung ist positiv. Unser nächstes Ziel ist das Jesus-Highschool-Musical „Water to Wine“ in der LUX. Gut, dass wir auch hier schon eine Stunde früher da sind. Die Schlange reicht über drei Häuserblocks. Wir stehen zum Glück weit vorne und kommen noch rein. Das Musical beginnt und wir sind sofort gefesselt. Jesus der an die Highschool kommt und erst einmal vollkommen verloren ist. Er passt in keine der Gruppen, die es hier gibt und wird ständig angefeindet. Doch er schafft es den Anführer seiner Feinde für sich zu begeistern – und mehr noch. Die beiden Jungs verlieben sich ineinander – und küssen sich mitten auf der Bühne. Unsere Mädels sind hin und weg und tuscheln: „Haben sich die jetzt wirklich geküsst???“ Später stellt sich heraus: Ja haben sie – was unsere Mädels zum Kreischen bringt.
Spätestens jetzt sind die Mädels Feuer und Flamme für den Kirchentag. Was gibt es noch zu entdecken? Können wir auch noch außerhalb des Zentrums Jugend auf Entdeckungsreise gehen? Klar! Wir fahren mit den Mädels in die Innenstadt. So viele Menschen! So viele grüne Schals! Das sind alles Christen? Ja klar!
Das Angebot auf den Hauptmarkt kann uns nicht überzeugen. Ich äußere den Wunsch, die Bläser auf dem Kornmarkt sehen zu wollen. Posaunenchor ist jetzt nicht so ihr Ding, aber die Mädels kommen mit. Doch das, was wir erleben, ist nicht einfach „Posaunenchor“. Hunderte Bläser und eine grandiose Brass-Band auf der Bühne, die zwischen klassischen Liedern auch Stücke von AC/DC und Avicii spielt. Wir tanzen und feiern – so wie weitere hunderte Menschen um uns herum.
Dann kommt der Abendsegen. Wir beschließen, dass wir noch bleiben und den späteren Zug zurück nach Bamberg nehmen. Wir werden ruhig. Nehmen uns eine Kerze, zünden sie beim Nachbarn an. Um uns herum ein Lichtermeer. Nach dem Segen setzen die Bläser zum Lied „Der Mond ist aufgegangen“ an. Gewaltig und doch ganz sanft. Gänsehaut. Der Jugendlichen neben mir laufen Tränen über die Wangen. Hier passiert etwas. Das können wir als Gruppe spüren.
Auf dem Weg zum Bahnhof sind die Mädels erschöpft, aber ganz selig. Ich sage: „Der nächste Kirchentag ist in zwei Jahren in Hannover.“ Und die Mädels sagen: „Können wir da hin fahren?“
Verena Willinger